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FTTH

Opportunistischer FTTH-Ausbau als strategische Alternative

Die stark opportunistisch und rentabilitätsorientierte Netzentwicklungsstrategie nordamerikanischer Kabelnetzbetreiber wirft die Frage auf, ob der FTTH-Ausbau in der Schweiz zwingend flächendeckend und in Kooperation erfolgen muss. Zwar sind die Rahmenbedingungen unterschiedlich – in Nordamerika gibt es keinen mehrheitlich staatlichen Netzbetreiber, und die Netze sind grösser –, doch wäre ein rein rentabilitätsgetriebener FTTH-Ausbau nicht auch hier denkbar?
FTTH-Ausbau - Impulse USA

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Opportunistischer FTTH-Ausbau in der Schweiz – Impulse von der SCTE TechExpo24 in Atlanta

Vom 24. bis 26. September 2024 fand in Atlanta/USA die SCTE TechExpo24 statt, organisiert von der Society of Cable Telecommunications Engineers, kurz SCTE. Dieser Non-Profit-Berufsverband, der zu CableLabs® gehört, beschleunigt die Einführung neuer Technologien und technischer Standards in der Telekommunikation und fördert die damit verbundene Ausbildung und Weiterentwicklung von Fachkräften in den Bereichen Engineering und Betrieb. Der Verband zählt rund 25 000 Mitglieder und gehört damit zu den wichtigsten internationalen Akteuren in der Kabelnetzbranche.

Die SCTE TechExpo ist ein jährlich stattfindender Fachanlass, der sich auf Engineering fokussiert. Neben einer umfangreichen Ausstellung bietet der dreitägige Event Workshops, Vorträge und Podiumsdiskussionen mit führenden Experten aus den Bereichen Kabelnetzbetreiber, Hardware- und Softwareentwicklung, Hochschulen sowie Regulierungsbehörden. Zusätzlich ist die Veranstaltung ein erstklassiger Ort für Networking und Wissensaustausch.

HFC- und DOCSIS-Entwicklung: DOCSIS 4.0 an der Schwelle zur Marktreife

Einige Kabelnetzbetreiber befinden sich noch in der Übergangsphase von einem Mischbetrieb DOCSIS 3.0/3.1 zu einem reinen DOCSIS 3.1-Betrieb. Mit DOCSIS 3.1 können Internet-Abos mit Download-Datenraten von bis zu 2.5 Gbit/s angeboten werden.
Als Weiterentwicklung ist DOCSIS 4.0 mittlerweile als Standard verfügbar, und Hardwarehersteller wie Teleste bieten bereits ein vollständiges 1.8 GHz-Sortiment an Aktiv- und Passivkomponenten an. Dies gilt ebenfalls für die CMTS bzw. Remote PHY Nodes. Bei der CMTS geht die Entwicklung zudem in Richtung Virtualisierung.  Mit DOCSIS 4.0 soll die 10 Gbit/s-Grenze geknackt werden und Feldversuche bei grossen amerikanischen und einem kanadischen Kabelnetzbetreiber haben vielversprechende Resultate geliefert.

Frühe Pläne für DOCSIS 5.0 mit 25 Gbit/s 

Ein Highlight der diesjährigen Show war die Präsentation eines gemeinsamen Plans für die Entwicklung von DOCSIS 5.0 der beiden US-Kabelgiganten Comcast und Charter zusammen mit dem Chiphersteller Broadcom. Auf der Basis eines «unified» DOCSIS Silicon von Broadcom sollen künftig Downloadgeschwindigkeiten von 25 Gbit/s möglich sein. Dazu wird das Übertragungsspektrum von 1.8 GHz (DOCSIS 4.0) auf 3 GHz erweitert. Mit «unified» ist gemeint, dass die schon heute bei DOCSIS 4.0 zur Verfügung stehenden beiden DOCSIS- Methoden – «Extended Spectrum DOCSIS» (ESD) und «Full Duplex» (FDX) – in ein und demselben Chip implementiert werden sollen. Beim ESD-Ansatz werden Downstream und Upstream in getrennten Frequenzbereichen übertragen, während beim FDX-Ansatz der Downstream und Upstream Verkehr in ein und demselben Frequenzbereich stattfindet. Das Projekt richtet sich an den jetzigen Spezifikationen für DOCSIS 4.0 und zielt auf eine spätere Zertifikation durch CableLabs ab. 

Neue Silicons mit KI und Cyber Security Features

Das Herzstück des Projekts – der «unified» Silicon von Broadcom – wird mit Funktionalität versehen, welche auf KI (künstlicher Intelligenz) beruht und über eine «Machine Learning Engine» verfügt. Damit sollen Störungen in HFC-Netzen erkannt und bei Bedarf umgangen werden, was die Leistungsfähigkeit und die Verfügbarkeit der Netze erhöht. Der Chip wird zusätzlich mit Cyber Security Features ausgerüstet sein, um Attacken aus dem Netz besser begegnen zu können. Die Komponente wird in einer Bauform hergestellt, welche den Einsatz in Nodes, Verstärkern sowie CPE (Kabelmodem) erlaubt. Der Verwaltungsratspräsident der Broadcom Semiconductor Solution Group Charlie Kawwas betonte dabei, dass es sich bei diesem Chip nicht um einen Papiergeist handelt, sondern dass dieser in einer frühen Version bereits existiert.

Das Technologieunternehmen CommScope, welches stark in der DOCSIS-Welt verankert ist, nahm den Plan von «Next Gen DOCSIS (3 GHz)» zum Anlass, um an ihrem Messestand sowie an ihrem in der Nähe von Atlanta gelegenen Entwicklungsstandort eine frühe Version der Technologie zu präsentieren.

Künstliche Intelligenz als Megatrend in der Telekommunikation

Der Megatrend KI war auch auf der SCTE TechExpo24 allgegenwärtig. Während beispielsweise DOCSIS 4.0-Hardware bereits heute mit KI-optimierten Silizium-Chips bestückt wird, befinden sich KI-Anwendungen im Softwarebereich noch im Experimentierstadium. Trotzdem sind die prognostizierten Anwendungsmöglichkeiten innerhalb der Telekommunikationsbranche sehr vielfältig und eindrücklich. In einer ersten Phase wird KI in Bereichen zum Einsatz kommen, in denen grosse Datenmengen generiert werden. Im Rahmen der Fachvorträge an der SCTE TechExpo24 wurden diverse Anwendungsbeispiele für den Einsatz von KI präsentiert, inklusive der damit verbundenen Chancen wie Effizienzsteigerungen, aber auch deren Herausforderungen.

KI im Kundensupport und der Netzwerkwartung

Ein Gebiet, welches sich für den Einsatzgebiet von KI eignet, ist das Operating von Kabelnetzen, insbesondere beim Kundensupport. Durch den konsequenten Einsatz von KI können Fehlerortungen und Fehlerbehebungen äusserst zielgerichtet und effizient abgehandelt werden. Aber auch die Realisierung von virtuellen Kundenberatern ist eine prädestinierte Anwendung von KI.

Proaktive Wartung und Vorhersage von Netzfehlern

Dasselbe gilt auch für die proaktive Netzwartung. Dabei ist KI in der Lage, Situationen zu erkennen, welche früher oder später zu Fehlern und Netzausfällen führen würden. Obwohl dieses Thema nicht neu ist, kann mit Hilfe von KI die dazu notwendige Korrelation von Betriebszuständen sowie von Warn- und Alarmmeldungen von Übertragungskomponenten und Kundenendgeräten schnell und effizient abgewickelt werden. Zudem sind solche Systeme selbstlernend, was eine kontinuierliche Optimierung ihrer Prognosen, Empfehlungen und Handlungen gewährleistet.

KI für individuelle Anpassung der Service-Profile

Auch im Bereich der komplexen technischen Übertragungssysteme wie der DOCSIS CMTS oder bei nationalen Backbones sind neue Betriebskonzepte denkbar. Bislang wurden alle Hausanschlüsse in den HFC-Anschlussnetzen mit einer homogenen Qualität erstellt und unterhalten. Der KI-Ansatz geht andere Wege. Ein Anschluss, der über eine geringere Übertragungsqualität verfügt, muss nicht zwingend saniert werden. Alternativ kann das Service-Profil unter Einbezug der Funktionalität von DOCSIS 3.1/4.0 für jeden Kunden individuell und dynamisch angepasst werden, um beispielsweise das vom Kunden abonnierte Internet-Abo bezüglich Anschlussgeschwindigkeit und Verfügbarkeit zu garantieren. So kann bei einer geringeren Kanalqualität das Übertragungsspektrum erweitert oder Frequenzen mit periodisch auftretendem Ingress situativ aus dem Übertragungsspektrum ausgeschlossen werden. KI bietet die ideale Voraussetzung für die Entwicklung solch hochkomplexer Systeme, welche automatisierte Profilanpassungen in Echtzeit und auf der Basis der enormen Menge an Betriebsdaten vornehmen, die von CMTS und dem Kabelmodem bereitgestellt werden.

Fiber-to-the-Home in Nordamerika

Obwohl der FTTH-Footprint in Nordamerika demjenigen von Europa und Asien hinterherhinkt, ist das momentane Wachstum bei reinen Glasanschlüssen schneller als jemals zuvor. Wie in der Schweiz setzt man dabei auf die XGS-PON-Technologie mit 10 Gbit/s im Up- und Downstream. Staatliche Förderprogramme in den USA und Kanada zielen darauf ab, die traditionelle Unterversorgung in ländliche Regionen mit schnellem Internet zu beseitigen, während in Städten der Wettbewerb zwischen grossen Anbietern den Netzausbau vorantreibt.

HFC als konkurrenzfähige Alternative

Im Gegensatz zum Glasfaserausbau in der Schweiz fehlt in Nordamerika ein staatliches Unternehmen, das landesweit und in relativ kurzer Zeit ein flächendeckendes Glasfasernetz baut. Deshalb wird der Entscheid, das bestehende HFC-Netz durch ein Glasfasernetz zu substituieren, streng nach der Rentabilität getroffen. Grosse Kabelnetzbetreiber wie Comcast, Charter Communications oder Cox setzen überwiegend auf HFC und sind aktiv an der Weiterentwicklung neuer DOCSIS-Standards beteiligt.

Kosteneffizienz als Vorteil von HFC

75 % der Haushalte in den USA werden laut einer Studie von CableLabs® über HFC-Netze versorgt. Die bestehende HFC-Infrastruktur kann schneller und weit kostengünstiger auf neue Bandbreitenanforderungen angepasst werden, als dies mit dem Neubau eines Glasfasernetzes möglich wäre. Für einen Grossteil der nordamerikanischen Kunden bieten HFC-Netze mit 1 Gbit/s im Downstream genügend Geschwindigkeit für Streaming und Surfen, und sie sehen auch keinen Bedarf für eine symmetrische Bandbreite. Auch aus der Sicht der Endverbraucher werden heutige HFC-Anschlüsse als wirtschaftlich sinnvoll betrachtet.

Technologische Innovationen sichern Zukunft von HFC

Daraus kann geschlossen werden, dass das Ablaufdatum von HFC in Nordamerika noch nicht absehbar ist. Durch die rein rentabilitätsgetriebene Ausbaustrategie der Netze, welche auf den effektiven Kundenbedürfnissen basiert, werden sowohl DOCSIS- wie auch HFC-Komponenten wie Nodes und Verstärker weiterentwickelt. So hat der finnische Hersteller Teleste seine neusten 1.8 GHz-Produkte an einem Stand an der diesjährigen SCTE  TechExpo24 präsentiert und seine Innovationskraft unter Beweis gestellt. Unlängst wurden die ersten 10›000 Stück 1.8 GHz Verstärker an einen grossen US-Kabelbetreiber ausgeliefert. Dank dem grossen Marktvolumens in Nordamerika werden auch Kabelnetzbetreiber in Europa weiterhin auf diese Technologie bauen können.

Opportunistischer FTTH-Ausbau als strategische Alternative

Die sehr auf Opportunismus und Rentabilität ausgelegte Netzentwicklungsstrategie nordamerikanischer Kabelnetzbetreiber lässt den Gedanken zu, ob der FTTH-Ausbau in der Schweiz wirklich nur über einen flächendeckenden Ausbau und eine Baukooperation erfolgen kann. Klar sind die Voraussetzungen in Nordamerika und in der Schweiz nicht dieselben. So gibt es in Nordamerika keinen flächendeckenden Netzbetreiber, welcher zur Mehrheit im Besitz des Bundes ist, und die Dimensionen der Netze sind nicht zu vergleichen. Wäre aber ungeachtet dessen nicht auch bei uns ein rein rentabilitätsgetriebener FTTH-Ausbau möglich?

Fokus auf rentable Netzzellen

Business Case Simulationen haben gezeigt, dass ein gebietsweiser Ausbau mit Priorität auf Netzzellen hoher Wohnungsdichte durchaus auch ohne einen Kooperationspartner rentabel sein kann. Allerdings müssen bei diesem Vorgehen die betroffenen Versorgungszellen vollumfänglich umgebaut werden, um nach erfolgter Migration das HFC-Netz in diesen Zellen abschalten zu können. Eine allfällige Baukooperation beschränkt sich beim opportunistischen Netzausbau ausschliesslich auf die Gebäudeverkabelung. Besteht diese bereits und wurde durch einen anderen Netzbetreiber realisiert, wird mittels eines Vertrags ein langfristiges Nutzungsrecht gesichert.

Trotz Teilausbau FTTH-Angebot für alle Kunden

Die Folge des opportunistischen Ausbaus ist ein längerer Parallelbetrieb von HFC und FTTH. Kunden in nicht FTTH ausgebauten Netzzellen, welche einen Dienst abonnieren, der einen Glasanschluss erfordert, werden über eine Mietleitung (ALO = Access Line Optical) der Swisscom erschlossen. In der Überzeugung, dass mittelfristig nur wenige Kunden aus technischen Gründen auf einen Glasanschluss angewiesen sind, ist dieses Vorgehen sowohl opportunistisch wie auch rentabel, auch wenn der Deckungsbeitrag geringer ausfällt als bei einem HFC-Anschluss. Die monatlichen Mietkosten (MRC = monthly recurring charge) für das Produkt ALO zwischen der Netzzentrale Swisscom und dem OTO des Kunden betragen momentan maximal CHF 24.00 pro Nutzungseinheit. Dieser Preis wurde zwischen dem Preisüberwacher und der Swisscom einvernehmlich vereinbart und hat Gültigkeit bis Ende September 2026. Eine Preiserhöhung, ohne dass sich relevante Gegebenheiten massgeblich ändern, ist nicht möglich oder wird sanktioniert. Mit dem Produkt ALO kann ein Kabelnetzbetreiber hohe Erschliessungskosten in Netzzellen mit geringer Baudichte umgehen, ohne dass Kunden mit Bedarf auf einen Glasanschluss darauf verzichten müssen. Der grössere Teil der Kunden kann somit weiterhin über die bestehende, leistungsfähige und rentable HFC-Infrastruktur versorgt werden.

Risikoarme Option für kleinere Betreiber 

Mit einem opportunistischen FTTH-Ausbau als Alternative zu einem flächendeckenden Ausbau kann das Gesamtrisiko der Netzentwicklung hin zu FTTH massiv reduziert werden. Der einmal festgelegte Ausbauplan kann jederzeit an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden, da keine Vorinvestitionen ins Netz in Form von IRU-Zahlungen für 30-jährige Nutzungsrechte vorgenommen werden.  Zudem löst man sich von den Fesseln der zeitlich engen Roadmap des Swisscom FTTH-Ausbaus und kann die jährlichen Investitionen den finanziellen Möglichkeiten anpassen. Es ist absehbar, dass insbesondere kleinere Kabelnetzbetreiber in der Schweiz diesen sanften und risikoarmen Ausbauweg beschreiten werden.